…und dann ist da jemand, der einfach „da“ ist. Die Situation hat es ergeben, und beide profitieren von der Präsenz des anderen. In erster Linie anfänglich physisch. Die körperliche Anziehung lässt sich nicht leugnen, ist von Anfang an da und sehr stark. Aber darauf kommt es ja auf längere Sicht nicht an, deswegen glaub ich anfänglich auch nicht an eine längere Sicht. Die gibt es in meinem Kopf nicht, weil sie nicht relevant ist. Für die Dauer des Zusammenseins ist es schön das zu haben was wir haben, aber danach geht jeder wieder seiner Wege. Getrennt. Auf zwei unterschiedlichen Kontinenten.
In gewissen Momenten nervst du mich so sehr, dass ich überlege das Ganze überhaupt sein zu lassen, ich beginne zu denken, dass es das nicht wert ist, sich genervt zu fühlen, nur weil du „zu viel Interesse“ zeigst. Wir beide wissen von Anfang an, dass es ein Ablaufdatum gibt. Ich denk mir, ich kann‘s kaum erwarten. Nicht dich loszuwerden, sondern einfach wieder zuhause zu sein, Freunde und Familie wieder in der Nähe zu haben. Ich bin mir sicher deine liebe und aufmerksame Art ab und zu mit einem warmen Gefühl in der Herzgegend vermissen zu werden, mehr aber auch nicht. Und irgendwann, so leise und unauffällig, wie sich der Herbst lückenlos an den Sommer reiht, schleicht sich da etwas anderes in mein Herz. Ohne es gleich zu bemerken, wirst du mir wichtiger und lieber als ich selbst je für möglich gehalten hätte. Ich fange an, deine Schwächen zu bewundern, deine offene und ehrliche Art mir Dinge zu sagen. Deine Art Unwissen offen zuzugeben, ohne dich zu schämen. Deine Art mich anzusehen wenn ich nicht hinschaue. Mir von anderen Personen sagen zu lassen, wie harmonisch und glücklich wir zusammen wirken. Ich muss mir eingestehen, dass ich vielleicht noch nie zuvor so von einem Mann behandelt wurde. Hier ist nichts berechnend, nichts mit falschen Intentionen, hier gibt es keinen Stress, keine emotionale Erpressung, keine falschen Versprechen, kein geheucheltes Interesse.
Du hast es nicht nötig dich zu präsentieren, gibst nicht vor etwas zu sein, das du nicht bist. Du scheinst vollkommen entspannt damit, wie das Leben ist und blickst auch dem was sein wird sehr entspannt entgegen. Ich weiß, dass es gewisse Bereiche gibt, die mir wichtig sind, die du nicht erfüllst, dafür erfüllst du die anderen zur Gänze. Du hast mich gelehrt, Menschen nicht zu früh zu beurteilen, offen zu bleiben für Herzensangelegenheiten, selbst wenn der Kopf etwas mit seiner Ratio schon längst abgeschrieben hätte. Du hast mich gelehrt dankbar zu sein, für Momente, die man teilt, für die Zeit, die man miteinander hat und bewusst verbringt. Du hast mich gelehrt Dankbarkeit auszudrücken, Dinge so auszusprechen, wie sie sind.
Ich war anfänglich manchmal nicht der schönste Mensch dir gegenüber. Ich bin nicht stolz darauf, wie ich dich teilweise behandelt habe, nicht stolz auf Manches, das ich dir gesagt habe. Das hast du nicht verdient, aber ich konnte offenbar nicht aus meiner Haut. Ich fühlte mich dir überlegen und hab dich aufgrund kleiner Aussagen niedergemacht, mich aufgeregt über Mikroprobleme, die man nur als lächerlich betrachten kann. Du hast dagegen immer zugehört, wolltest wissen, was ich denke, was ich fühle und hast dich nicht mit einer scheinheiligen falschen Antwort abspeisen lassen. Du hast nicht locker gelassen, bis du von mir die Wahrheit gehört hast. Ich schätze das so sehr an dir, noch niemand zuvor hat dies mit einer solchen Geduld und Hartnäckigkeit gekonnt. Obwohl wir in einer so kleinen begrenzten Blase eingeschlossen waren, in einer Umgebung, in der es schwierig wäre sich nicht jeden Tag zu sehen, hab ich irgendwann gemerkt, dass ich dich richtig vermisse, wenn ich dich fast den ganzen Tag nicht gesehen hatte. Und das nächste Mal als du sagst, dass du mich sehr vermissen wirst, wenn das besagte Datum der Trennung gekommen ist, kann ich dir nicht in die Augen sehen. Diesmal aber nicht, wie so oft zuvor, weil ich das Gefühl habe mich verstecken zu müssen, weil ich nicht dasselbe empfinde, sondern diesmal weil ich weiß, dass ich keine Chance hätte gegen die Tränen anzukämpfen, wenn ich dir weiter in die Augen blicken würde. Zum ersten Mal merke ich wie es um mich steht. Ich merke, dass deine liebe Art sich in meinem Herz manifestiert hat, die körperliche Zuneigung bei Weitem übertrifft und, so sehr ich mich auch dagegen wehre und es nicht wahrhaben will, ich mich wohl verliebt habe. In den Mann, der mich so sehr genervt hat, den ich für einen Einfaltspinsel hielt. In den Mann, der immer unvoreingenommen mir gegenüber war, der sich immer für meine Zeit bedankt hat, der mir immer und immer wieder eine frische Rose aus seinem Hemd gezaubert hat, mich überrascht hat, mir Seiten gezeigt hat, die ich an ihm nie erwartet und an mir für nicht möglich gehalten hätte.
Und jetzt, da wir schon seit Wochen räumlich getrennt sind, wird er mir wichtiger und wichtiger, ist mir mit jedem Telefonat näher am Herzen als zuvor und macht es mir teilweise sehr schwer im Moment zu leben, weil die Zukunft, in der ich ihn wiedersehen darf viel attraktiver erscheint. Und so sehr ich es ablehne jemanden zu vermissen, so sehr bin ich dankbar darüber, das fühlen zu dürfen, weil es mir zeigt, dass ich dazu fähig bin, dass ich mein Herz jemandem öffnen kann, der es verdient hat, dass ich unabhängig davon wie es weitergeht, dankbar darüber bin zu fühlen, zu leben, zu wollen, zu lernen, zu entdecken. All das was durch ihn plötzlich mehr Wichtigkeit hat als zuvor. Allein dafür wird er schon für immer einen platz in meinem Herzen haben.