Langsam versank die Sonne in der Farbe des Innenlebens einer Blutorange hinter den grünen Hügeln, die aus dem Wasser ragten. Laut eines Mythos sind es die Körperteile eines Seedrachens, welche heute die malerische Halong Bucht in Vietnam bilden. Zugegeben, ein Seeungeheuer zu sehen, hatten wir nicht erwartet, aber man hätte sich schon einreden können am Filmset eines Films so realistisch wie Avatar zu sein. Einfach schön; fast schon kitschig.

Am Oberdeck des hübschen Holzschiffes, wie sie zuhauf Touristen in die Bucht bringen, befand sich eine bunte Mischung an Personen verschiedener Nationalitäten und Alters, die aber doch unter einem Sammelbegriff zusammengefasst werden konnten: der gemeine Backpacker. Dessen Merkmale? Nun, Weibchen waren häufiger alleinreisende Individuen, Männchen des Öfteren zu zweit unterwegs und, ob der neugelebten Freiheit und Selbstbestimmtheit zumeist dem Wildwuchs zugetan wenn es um Gesichtsbehaarung ging. Gemeinsam haben sie dieselben Grundsätze; einer der Wichtigsten: selbst in einem Land, wo man für ein großes Bier am Straßenstand gerade mal 0,15€ hinlegt, muss man schauen wo man bleibt. Finanziell zumindest.

Somit waren wir also gut vorbereitet auf diese eine Nacht, die wir auf dem Wasser umringt von den nun immer schwärzer werdenden Kalksteinfelsen verbringen würden. Wir hatten mehrere 2-Liter Sprite-Flaschen mitgebracht, in denen sich selbstverständlich längst nicht mehr nur Sprite befand. Schließlich hatten wir uns über die Getränkepreise an der Boardbar vorher gründlichst informiert.

Die Ruhe der Nacht und die Schönheit der Umgebung wurden geradezu vergewaltigt von immer lauter werdendem Gelächter und immer grölerischeren Konversationen beim Ausüben so ziemlich jedes Trinkspiels, das man sich (nüchtern nicht) vorstellen kann. Da war es recht bald auch gar nicht mehr so schlimm, dass unsere mitgebrachten Drinks ungefähr dieselbe Temperatur hatten wie die Luft der schwülen Nacht.

Man lernte sich besser kennen. Die 2 befreundeten Iren, deren Namen in geschriebener Form selbst für einen Zungenbrecherweltmeister eine Herausforderung gewesen wären, kamen dem Stereotyp brav nach. Der eine war rothaarig, bleich und sommersprossig, der andere schenkte immerzu nach. Wenn sie sich miteinander unterhielten hatte der Rest der Runde Schwierigkeiten zu folgen, was nicht nur am steigenden Blutalkohohlgehalt lag. Da war Kelsey, die herrlich untussige Nordamerikanerin, die beim zuprosten an die Runde gerne ein gar-nicht-so-ernst-gemeintes YOLO brummte. Jasmine, die elfenhafte quirlige Australierin, deren Lachen so ansteckend war, dass es unwichtig wurde, ob das worüber sie lachte eigentlich lustig war. Harry, der draufgängerische Mate aus Greater London, der sich mit gespielter Empörung darüber beschwerte, dass sein Name aus Kelseys Mund Hairy war. Harry wollte nicht Hairy sein. Tja, und dann war da noch meine Wenigkeit. Jemand, der vielleicht schon zu alt sein sollte für Trinkspiele mit illegal eingeschlepptem, gepanschtem Alkohol und einer Gruppe von Reisenden, die im Schnitt gute 10 Jahre jünger waren. Aber, was soll ich sagen? YOLO.

Zu fortgeschrittener Stunde gesellte sich unser einheimischer Guide, der diesen Bootstrip begleitete, zu uns. Ken (ja, Asiaten tendieren dazu, sich für Touristen simple Namen auszusuchen, die selbst jeder George aus dem tiefsten Texas aussprechen könnte) war ein Kerlchen auf den das in Österreich kaum gebrauchte Adjektiv ‘niedlich’ einfach passte, wie der Glaspantoffel auf Aschenputtels Fuß. Zu sagen, dass Ken gerne und oft lächelte, wäre Untertreibung. Kens Gesicht bestant im Grunde aus einem einzigen Lächeln. Wenn es gespielt war, war es sehr gut gespielt, wenn es echt war, beneide ich ihn um die Substanzen, die ihm ermöglichten dies stundenlang durchzuziehen. Bestimmt gespielt war allerdings der Britische Akzent, den viele seiner Worte trugen, selbst wenn er im Englischen nur einen Wortschatz besaß, so umfangreich wie der eines Horoskops in einer kostenlosen Ubahnzeitung. Die Iren schenkten Ken großzügig ein und die Komplexität des gerade gespielten Trinkspiels war in zwei Sätzen erklärt.

Als Jasmine aufstand, schwankte sie mehr, als unbedingt notwendig gewesen wäre. War die Wasseroberfläche, auf der unser Schiff für diese Nacht geparkt war, doch so glatt wie die Haut in Kens Gesicht. Er gab an 27 Jahre alt zu sein, dem Gesicht zu urteilen ereilte ihn aber wohl das Schicksal so vieler Asiaten; er sah keinen Tag älter aus als 15. Ich schloss mich Jasmine an auf dem gefährlichen Weg hinab aufs Unterdeck über die steile Holztreppe um ebenfalls das stille Örtchen aufzusuchen. Schließlich teilte ich mir in dieser Nacht die Kajüte mit ihr, warum also nicht zum Peebuddy werden?

Nach verrichteten Tatsachen kam ich zurück an die Reling, wo sich Jasmine leicht vornübergebeugt mit beiden Händen an der Brüstung festhielt und ins Wasser unter uns starrte. „I’m sick“ verkündete sie knapp und für mehr blieb auch nicht wirklich Zeit, da das Sprite-Schnaps-Gemisch in diesem Moment aus ihr herausschoss wie das Bier aus einem frisch angeschlagenen Fass auf der Wiesn. Das ökologische Gleichgewicht des Wassers würde dies wohl verkraften müssen. Ich hielt ihr die Haare aus dem Gesicht und wunderte mich wenig darüber, dass ein so fragiles Persönchen mit geschätzten 40 Kilo Kampfgewicht weniger Toleranz hatte als die drei bärtigen Briten, deren Gelächter wir dumpf vom oberen Deck hören konnten.

Blick in die Halong Bucht vom Boot aus

Gemeinsam setzten wir uns auf den Boden auf dem offenen Gang direkt vor unserer Kajüte. Jasmine ließ ihre Beine durchs Geländer baumeln und hielt sich mit beiden Händen an den Stangen des Geländers fest, den Kopf dazwischen gesteckt, um im Falle einer erneuten Übergabe bereits in der richtigen Position zu sein. Nach einer kurzen Weile in der wir nicht viel gesagt hatten, kam Ken und fragte sichtlich besorgt – es war kein Lächeln zu sehen!! – ob alles in Ordnung sei und setzte sich unaufgefordert zu uns. Jasmine hatte sich halbwegs erholt und entschuldigte sich dennoch mit einem müden „G’night“ und verschwand hinter der weiß gestrichenen Holztür unserer Kajüte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich, dass auch ich keine Lust mehr hatte weiter zu trinken also blieb ich sitzen und unterhielt mich noch ein bisschen mit Ken, dem unsere Mischung anscheinend zu Kopf gestiegen war. Unverblümt aber dennoch nicht ungut wurde ich da angegraben von einem Vietnamesen, der bei etwa gleicher Körpergröße geschätzt halb soviel wog wie ich, was aber nicht der einzige Grund war, weshalb er und seine Avancen für mich wenig attraktiv waren. Mit einem fake-geschmeichelten Gekicher, von dem ich immer wieder überrascht bin, dass es mir in meinem Alter jedes Mal abgenommen wird, tat ich seine Komplimente und Angebote ab und verschwand auch sehr bald in der Kajüte. Allein.

Gefühlt viel zu wenige Stunden später wurde ich wach als Jasmine neben meinem Bett in ihrem Rucksack kramte. Die Kleine war topfit. Klar, in dem Alter machte ich auch noch ganze Nächte durch, selbst ohne meinen Mageninhalt zwischendurch zu entleeren. Das Gefühl in meinem Mund und Kopf sagte mir wieder einmal an diesem Tag bestimmt die Finger von Alkohol und Zigaretten zu lassen und mit einem dünnen Schweißfilm auf der Haut schälte ich mich im selben Outfit des Vorabends aus dem Bett. Nachdem mir Jasmine einen guten Morgen gewünscht hatte, wollte sie wissen, ob es denn noch lustig gewesen war, nachdem sie ging. Offenbar hatte ihr betäubter Zustand sie dermaßen schnell in ein tiefes Koma befördert, dass sie mich gar nicht reinkommen gehört hatte, was ja nicht viel später war.

In der vorsichtigen Hoffnung auf ein kontinentales Frühstück schlenderten wir Richtung Bar, wo die Iren und Harry bereits zusammen um einen Tisch saßen, in dessen Mitte eine große Schüssel Reis und ein Teller mit gedünstetem Spinat stand. Dahin war mein Traum eines Omeletts samt Croissant und gutem Kaffee. Jasmine und ich setzten uns und hatten sofort 3 ungläubig starrende Augenpaare auf uns gerichtet. What?

Die Burschen fragten uns welche Zimmernummer wir hatten, und nachdem wir die Nummer, von der sie auch dachten, dass es unsere war, bestätigten, fragten sie ob wir denn niemanden klopfen und rufen gehört hätten? Hatten wir offensichtlich nicht. Was wir nun nacherzählt bekamen, hatte etwas von einer schlecht geschriebenen Columbo Folge.

die Lichter der Boote in der Bucht nachts

Anscheinend nutzte der Kellner der Bar es aus, dass sich alle auf dem Oberdeck vergnügt hatten und stieg durch die Fenster mehrerer Zimmer um Geld und Wertsachen zu entwenden. Dabei wurde er dann in flagranti erwischt, woraufhin er die Flucht ergriff. An der Intelligenz dieses Bürschchens begann ich stark zu zweifeln, als ich mir lieblos einen Löffel Reis in den Mund schob. Wir befanden uns auf einem Boot. Wohin genau wollte er mit der Beute denn bitte fliehen? Ok, ich fand das Ganze recht unterhaltsam. Nicht so Kelsey. Die war noch immer im Gespräch mit der Polizei. Offenbar hatte der kleine Langfinger US Dollar bei ihr gefunden von denen noch immer nicht die ganze Summer wieder aufgetaucht war.

Als Kelsey unsere Gruppe wieder vervollständigte, hörten wir den Rest der Geschichte:

Nachdem also Alarm geschlagen wurde, hatte jeder seine Sachen überprüft um festzustellen ob etwas fehlte. Bei Kelsey fehlte der Reisepass und eben an die 200 Dollar cash. Als der Flüchtige geschnappt war (von Ken bitteschön), hatte Kelsey ihren Pass sofort wieder. Bei der Kohle sollte es jedoch länger dauern. In ihrer Wut schrie sie sogar den devoten Ken an mit dem Befehl sofort zurück an Land zu fahren um die Sache aufzuklären. Irgendwie schien es ihr dann aber doch eingeleuchtet zu sein, dass es wohl wenig brächte und nicht schneller ginge, um 04 Uhr morgens an die Anlegestelle zu fahren und dort auf einen Polizisten zu warten, als dies am Vormittag des Folgetages zu tun. Doch bis diese Einsicht gegriffen hatte, war sie drauf und dran eine Revolte auf dem Boot auszulösen. Angeblich hatte sie an unsere Zimmertür getrommelt und nach uns gerufen, um uns auf ihre Seite zu bringen in der Diskussion mit Ken. Hoppla.

Vielleicht war Jasmine doch nicht die Einzige, die in ein tiefes Koma gefallen war sobald das Gesicht den Polster berührt hatte. Die Elfe aus Melbourne und ich waren dann aber doch leicht enttäuscht soviel filmreife Action verschlafen zu haben. Als wir nun also so um den „Frühstückstisch“ saßen, war die Polizei, die offenbar am frühen Vormittag das Boot betreten hatte, noch immer dabei dem Gauner das restliche Bargeld zu entlocken von dem er Stein und Bein schwor es nicht zu haben. Der arme Schlucker war gerade mal 16 Jahre alt und nun drohten ihm ein paar Monate Gefängnis. In Vietnam. Ich kann mir wirklich Schöneres vorstellen mit meiner Zeit, denn: YOLO.